So sehe ich das

Farbe bekennen – Gedanken zum Kunstgenuss

Plädoyer für eine neue Qualitätsdiskussion in der bildenden Kunst

Peter Derschka
Gaienhofen, im Oktober 2015

Kunst im Nachhinein

Wenn erst gewundene Erläuterungen und Interpretationen ein Objekt als Kunstwerk begründen sollen, hätte der Produzent sich und dem Betrachter die Mühe besser erspart. Allenfalls könnte er auf Piero Manzoni verweisen. Denn mit seinem kopfstehenden Postament, dem „Socle du monde“, erklärte Manzoni 1961 alles, was auf der Erde ist und geschieht, zur Kunst. Ziemlich überflüssig demnach, ein Kunstwerk produzieren, geschweige denn das Produzierte mit Argumenten ex post zu einem Kunstwerk machen zu wollen.

Letzteres trifft, jenseits von Manzonis ultimativem Statement, auf alle künstlerischen Bemühungen genauso wie auf Witze zu, deren (vorgebliche) Qualitäten und Pointen nur dann zu begreifen sind, wenn sie extra erklärt werden: Kunst braucht wie der Witz keine Hilfskonstruktion. Sonst ist die Kunst keine Kunst und der Witz kein Witz. Oder: Diese Kunst ist ein Witz.

Armes Publikum

In der Rolle eines polnischen Opernsängers parodierte der Komiker Hape Kerkeling 1991 Neue Musik. Der schwachsinnige Text mit unvermittelt eingestreuten „Hurz“-Rufen hielt das kunstbeflissene Publikum nicht davon ab, eine tiefschürfende Diskussion über den dargebotenen und nicht als solchen erkannten Nonsens anzuzetteln. Überzeugender wurde die uneingestandene Hilflosigkeit von Rezipienten gegenüber moderner Kunst selten vorgeführt.

Nicht anders sieht es in der Bildenden Kunst aus. In den Ausstellungsräumen hängt jede Menge „Hurz“, gefertigt allerdings von Dilettanten mit ungeheurer Chuzpe. Kritiker und Besucher durchschauen das nur selten. Statt Sprachlosigkeit ob des hemmungslos gezeigten Unvermögens, wenn es zum Verriss an Mut mangelt, überwiegt als Reaktion ein hochgestochenes Geschwafel über vermeintliche Stärken der Exponate. Das macht es für alle einfacher, die sich nicht zu feixen, fluchen oder flüchten trauen.

Wenn Bilder Laut gäben

Spielten Künstler ein Instrument genauso gut, wie sie malen, hielte sich das Publikum bei vielen die Ohren zu. Ausstellungsbesucher nehmen jedoch selten wahr, welche Kakophonie im übertragenen Sinn da gerahmt an den Wänden hängt.

Machten Bilder Töne – je schlechter das Bild, desto schriller der Lärm – wären Kunstfreunde, die jammernd und halb taub ins Freie stürzen, ein gewohnter Anblick vor den Ausstellungslokalen.

Der Preis bestimmt die Qualität

Die oftmals riesige Diskrepanz zwischen dem eigenen spontanen Werturteil und dem Marktwert eines Kunstwerks verunsichert Kunstinteressierte. Sie werden umgehend ihre Einschätzung dem Marktwert der betrachteten Gegenstände anpassen, um mit sich ins Reine und nicht in Konflikt mit ihrer sozialen Umgebung zu kommen. Denn eine andere Orientierung scheint es angesichts der mutmaßlichen Beliebigkeit moderner Kunst nicht zu geben. Was gut ist, verraten der Name des Künstlers und der angesetzte Preis.

Da die Szene indes überwiegend von No-Names bevölkert ist, herrscht im Grunde weiterhin große Ratlosigkeit bei den Kunstbetrachtern. Sie lässt sich aber leicht kaschieren: Alles ist irgendwie gut, Warhol und Manzoni lassen grüßen. Und so entgeht der Ausstellungsbesucher der Peinlichkeit, seine mögliche Ablehnung begründen zu müssen. Sagt er aber: „Finde ich gut“, fragt niemand nach.